Historische Pfade

Die Ufa, Bertelsmann und die Gründung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

Seit einigen Jahren schon setzt sich Bertelsmann auf verschiedenen Ebenen und im europäischen Kontext für den Erhalt des deutschen Stummfilmerbes ein: Mit den UFA Filmnächten wurde, ausgehend von Berlin, ein Festival etabliert, das auch im europäischen Ausland große Strahlkraft entwickelt hat; und bereits 2014 trat Bertelsmann als Hauptsponsor der digitalen Restaurierung des Klassikers DAS CABINET DES DR. CALIGARI auf. Die Uraufführung dieser Fassung des expressionistischen Meisterwerkes auf der damaligen Berlinale entwickelte sich zu einem großen Medienereignis. Inzwischen initiierte Bertelsmann weitere Aufführungen in Brüssel, Madrid und New York. In diesem Zusammenhang steht auch die finanzielle Unterstützung der digitalen Restaurierung von Fritz Langs DER MÜDE TOD (2016), Paul Czinners DER GEIGER VON FLORENZ (2018) und Ernst Lubitschs CARMEN (2021). 2023 wurde mit KOHLHIESELS TÖCHTER ein weiterer Ernst-Lubitsch-Film restauriert, der, wie auch die anderen genannten Filme, bei den UFA Filmnächten präsentiert wird. Letztlich knüpft Europas größtes Medienhaus hier jedoch an eine historische Verbindung an, die vor 60 Jahren ihren Ursprung nahm.

Mit Wirkung zum 1. Januar 1964 erwarb Bertelsmann die nach der Reprivatisierung insolvent gegangene Universum-Film AG (Ufa) und erreichte so den lange angestrebten Einstieg in das Fernsehproduktionsgeschäft. Zu dieser Zeit standen in Gütersloh die Zeichen auf Expansion: Der 1835 gegründete Verlag hatte mit dem Bertelsmann Lesering 1950 den Schritt aus dem reinen (Druck- und) Verlagsgeschäft heraus gewagt und legte seitdem ein rasantes Wachstum vor. Zu Beginn der 1960er-Jahre wurden die ersten Lesering-Ableger im europäischen Ausland gegründet. Darüber hinaus strebte der „Nachkriegsgründer“, Geschäftsführer und Inhaber von Bertelsmann, Reinhard Mohn (1921–2009), die konsequente Ausdehnung auf neue Geschäftsfelder an, ein Prozess, der mit der Gründung des Schallplattenlabels Ariola im Jahr 1958 bereits seinen Anfang genommen hatte. Der nächste Schritt – der Weg zum Privatfernsehen, das Ende der 1950er-Jahre in greifbare Nähe gerückt war („Adenauer-Fernsehen“) – ließ zwar noch auf sich warten, doch schien die Produktion für das öffentlich- rechtliche Fernsehen als ein lohnendes Geschäft für die Zukunft.

 

Mit dem Kauf der Ufa hatte Bertelsmann nicht nur die Marke, sondern auch die Ufa-Beteiligung an der Deutschen Wochenschau GmbH, den Ufa- Tonverlag inkl. des Wiener Bohème Verlags, die Ufa Industrie- und Werbefilmproduktion, die Ufa Fernsehproduktion sowie Auswertungsrechte am Ufa-Filmstock erworben. An Kinoproduktionen oder gar dem legendären Stummfilmerbe, das so untrennbar mit Mohn zunächst noch wenig Interesse, denn nach dem Kauf der Ufa lag der Fokus ganz klar auf dem Fernsehgeschäft. So wurden die Bertelsmann Fernsehfilmproduktionsgesellschaft und das Playhouse Studio Reinhard Mohn, die erst wenige Jahre zuvor gegründet worden waren, noch 1964 in die neu erworbene Ufa integriert. Doch das Bertelsmann- Credo, dass Medien wie Buch, Film, Fernsehen und Schallplatte nicht konkurrieren, sondern sich als Kette kreativer Inhalte gegenseitig sinnvoll ergänzen sollten, führte das Unternehmen in den folgenden Jahren konsequent in Richtung Film. Im April 1965 wurde die neu erworbene Kinokette der Ufa durch den Aufkauf der Pallas Filmverleih GmbH und der Merkur Filmtheater erweitert. Mit den 15 Merkur- Häusern bespielte die Ufa-Theater AG nun insgesamt 44 Filmtheater. Nur drei Monate später, zum 1. Juli 1965, beteiligte sich Bertelsmann mit 60 Prozent an der erfolgreichen Constantin Film GmbH. Das Augenmerk lag auf einer gemeinsamen Spielfilmproduktion. Diese Investitionen und der verhältnismäßig gute Jahresabschluss 1964 der Ufa-Theater AG scheinen der damals reichlich angeknacksten Filmbranche ein Fünkchen Hoffnung gegeben zu haben. „Kein Zweifel“ – so die Branchenzeitschrift Filmblätter im März 1966 –, „der geheime Generalstab deutscher Filmexpansion sitzt zur Zeit in Gütersloh.“

Der Blick aber ging nach vorn, nicht zurück; und unklar blieb zunächst, wie der legendäre Filmstock der Ufa verwertet werden sollte, der schließlich einen wesentlichen Wert des neu erworbenen Unternehmens bildete. Schon im Frühjahr 1964 war ein Aufschrei durch die (Fach-)Presse gegangen: Ein Verkauf der Filme an die US-amerikanische Firma Seven Arts, wie offenbar geplant, sei undenkbar und wurde dann auch zügig von der Bundesregierung – über den sog. Ufi-Liquidationsausschuss – untersagt. Wie umfangreich dieser Bestand war, verdeutlicht eine Aufstellung in der Zeitschrift Filmecho von 1966: Es handle sich „um Filmrechte von etwa 1.000 Stummfilmen und 900 Tonfilmen, 1.200 Kulturfilmen und 106 Nachkriegsfilmen sowie um rund 200 nicht verfilmte Stoffrechte“.

Nach intensiven Gesprächen zwischen Bundesregierung, Bertelsmann und der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) einigte man sich zum Jahresbeginn 1966 schließlich auf die Gründung einer gemeinnützigen Stiftung bürgerlichen Rechts, die sowohl den Filmstock von Bertelsmann als auch den der Bavaria für insgesamt 13,8 Mio. DM übernahm und dafür ein Darlehen aus dem Ufi-Liquiditätserlös erhielt, das sie in den folgenden Jahren zurückzahlen musste. Die Stiftung mit Sitz in Wiesbaden erhielt den Namen des renommierten deutschen Stummfilmregisseurs Friedrich Wilhelm Murnau. Damit war für Bertelsmann das Kapitel des Ufa-Stummfilmerbes zunächst abgeschlossen.

Das Potenzial der großen Marke Ufa aber wurde insbesondere im Zuge des Aufkommens des privaten Fernsehens seit den 1980er-Jahren weiter ausgeschöpft. Heute präsentiert sich die UFA im Rahmen des Bertelsmann-Konzerns als leistungsstarker Programmkreateur, der in den vergangenen Jahren seine Marktführerschaft in Deutschland als Film- und Fernsehproduzent kontinuierlich ausgebaut hat. Gleichwohl: Bis heute macht die historische Aufladung einen wesentlichen Teil des Charismas der Marke aus. Wenige Jahre nach dem 100. Geburtstag der „alten“ Ufa beruft sich die heutige UFA noch immer erfolgreich auf eine künstlerische Tradition, die einst bei Fritz Lang, F. W. Murnau und vielen anderen ihren Anfang nahm.

Als Medienunternehmen, das Kreativität in den Mittelpunkt seiner Wertschöpfung und Unternehmenskultur stellt, setzt sich Bertelsmann auch für die Sicherung und den Erhalt bedeutender Schöpfungen früherer Tage ein. Die heutige Vielfalt und das weltweit große, vielfach digitale Medienangebot des Konzerns haben historische Wurzeln.

Auch deshalb ist Bertelsmann das Engagement für das europäische Kulturerbe ein wichtiges Anliegen.